Einleitung
Schmerz ist eine komplexe, unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigung verbunden ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. Es handelt sich um ein 3-dimensionales Geschehen (sensorisch, kognitiv, affektiv), dem unterschiedliche Mechanismen zugrunde liegen können. Für den klinischen Alltag ist es von zentraler Bedeutung, über diese Mechanismen und deren Biologie aufgeklärt zu sein, um Patient*innen dementsprechend adäquat behandeln zu können.
Neuropathisch
Im ersten Teil dieser Reihe haben wir uns die Nozizeption, den häufigsten Schmerzmechanismus, genauer angeschaut. Im zweiten Teil geht es um den neuropathischen Schmerzmechanismus. Dabei handelt es sich um Schmerz, der mit einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems einhergeht. Er wird zudem nach der Lokalisation eingeordnet, je nachdem, ob die betroffene Stelle zum peripheren oder zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) gehört. Periphere neuropathische Treiber kommen weitaus häufiger vor.
Läsion = Schmerz?
Eine Neuropathie ist nicht notwendigerweise schmerzhaft. Vergleichbar mit nozizeptivem Schmerz sind neuropathische Schmerzen hier dominierend, jedoch nicht die einzigen Faktoren, die zur Schmerzerfahrung beitragen. Die Weiterleitung und Verarbeitung im Gehirn verläuft ähnlich, weshalb nicht weiter darauf eingegangen wird. Um einen neuropathischen Schmerzmechanismus klassifizieren zu können, ist ein Nachweis einer Läsion oder Erkrankung des Nervensystems erforderlich. In der Klinik dominant nozizeptive von dominant neuropathischen Schmerzen unterscheiden zu können, ist vor allem deshalb wichtig, weil sich dadurch Prognose und Management ändern.
Diagnose
Um einen neuropathischen Schmerzmechanismus zu identifizieren, ist eine ausführliche Befragung sowie eine körperliche Untersuchung mit einem neurologischen Screening notwendig. Neuropathischer Schmerz kann durch Bewegung ausgelöst, aber auch spontan in Ruhe auftreten, die eine anhaltende Nachempfindung bewirken kann. Es ist eine hohe Irritierbarkeit und eine stark wahrgenommene Schmerzintensität wahrscheinlich. Die Schmerzen werden oft als einschießend, elektrisierend oder brennend beschrieben. Zusätzlich können die Schmerzen von neuronalen Funktionsstörungen begleitet sein, wie z.B. Kribbeln, Stiche, Taubheit und Schwäche.
Untersuchung
Bestehen Hinweise auf ein neuropathisches Schmerzgeschehen, sollte eine gründliche neurologische Beurteilung erfolgen. Die Untersuchung der Sensibilität mittels Tasten, Vibrationen, Kälte- und Wärmereizen liefert Hinweise auf positive (verstärkte) und negative (abgeschwächte) Zeichen. Die Beurteilung der Irritierbarkeit kann bspw. durch neurodynamische Tests erfolgen. Reflexe und muskuläre Funktionen sollten ebenfalls getestet werden.
Take-Home-Message:
Neuropathische Schmerzen haben ihren Ursprung im neuralen Gewebe. Es handelt sich um Schmerz, der mit einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems einhergeht. Die Identifizierung in der Praxis ist wichtig, da sich Prognose und Behandlung dadurch ändert. Zudem haben neuropathische Schmerzen ein erhöhtes Chronifizierungsrisiko, weshalb ein interdisziplinäres Management entscheidend sein kann. Im Management neuropathischer Schmerzen spielen vor allem 3 Punkte eine wichtige Rolle:
- Raum: Damit Nerven richtig funktionieren, müssen sie in der Lage sein, ungehindert durch verschiedene Körperregionen zu gleiten.
- Bewegung: Das Nervensystem muss in der Lage sein, sich an Bewegung anzupassen. Die Fähigkeit, komplexe Signalprozesse während alltäglicher Bewegung durchzuführen, ist essenziell.
- Blut: Neurales Gewebe ist enorm „blutdürstig“. Gehirn und Rückenmark verbrauchen 20-25% des Sauerstoffs im Blut.
Quellen:
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- Jones, M.A., & Rivett, D. (2019). Clinical reasoning in musculoskeletal practice (2. Aufl.). Elsevier Health Sciences.
- Schmid, A. B., Hailey, L., & Tampin, B. (2018). Entrapment neuropathies: Challenging common beliefs with novel evidence. The Journal of Orthopaedic and Sports Physical Therapy, 48(2), 58-62. https://doi.org/10.2519/jospt.2018.0603
- Tampin, B. (2020). Nervenschmerz ≠ Nervenschmerz. manuelletherapie, 24(01), 21-27. https://doi.org/10.1055/a-1080-7999
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