WAS IST OSTEOPATHIE?

Unter Osteopathie werden verschiedene befunderhebende und therapeutische Verfahren verstanden, die über die Hände ausgeführt werden. Osteopath*innen versuchen dabei Verspannungen und Bewegungseinschränkungen am menschlichen Bewegungsapparat zu ertasten und anschließend Muskeln, Gelenke sowie andere Strukturen zu mobilisieren und zu behandeln.

KRITISCHER BLICK

Die Autoren Thomson und MacMillan (2023) untersuchen kritisch die grundlegenden Annahmen, Praktiken und Besonderheiten der Osteopathie und identifizieren 5 problematische Bereiche:

  • Schwache theoretische Basis
  • Inhärente Biomedikalisierung
  • Fokus auf Einzelinterventionen
  • Therapeut*innenzentriertheit
  • Nicht plausible Erklärungen/Mechanismen

SCHWACHE THEORETISCHE BASIS

Osteopathische Theorien beruhen fast ausschließlich auf biomedizinischen Annahmen, die Krankheiten auf objektive mechanische Abweichungen zurückführen. Der Mensch wird als Maschine betrachtet. Diese Sichtweise widerspricht einem ganzheitlichen, biopsychosozialen Ansatz. Leiden entsteht durch komplexe biologische, psychologische sowie soziale Strukturen und Zusammenhänge, welche anerkannt werden müssen. Osteopath*innen werden dazu aufgefordert, kritisch über ihre theoretischen Grundlagen und Philosophien nachzudenken, um eine zeitgemäße Behandlung zu gewährleisten.

INHÄRENTE BIOMEDIKALISIERUNG

Als Erklärung für Krankheit und Schmerz fokussiert sich die Osteopathie auf einfache strukturelle und funktionelle Fehlfunktionen. Dies ist eine stark vereinfachte und reduktionistische Sichtweise und steht im Widerspruch zu einer ganzheitlichen Perspektive auf Gesundheit. In der Behandlung von Schmerzen und Leiden steht eine positive Vorstellung von Gesundheit im Vordergrund sowie das Potential der Person, ihre gesundheitlichen Probleme angesichts sozialer, körperlicher und emotionaler Herausforderungen selbst zu bewältigen.

Um die Qualität osteopathischer Behandlungen zu steigern, wird ein stärkeres Einbeziehen psychosozialer Faktoren, Berücksichtigung wissenschaftlicher Evidenz und das Vermeiden einer reinen Konzentration auf den Körper empfohlen.

FOKUS AUF EINZELINTERVENTIONEN

Osteopathie konzentriert sich fast ausschließlich auf manuelle Behandlungen über die Hände. Häufige Maximen sind dabei z. B.: „Die mächtigsten Werkzeuge sind unsere Hände“. Solche Philosophien minimieren jedoch kognitive, kritische und reflektierte Prozesse. Trotz des Anspruchs auf ganzheitliche Behandlungen stützt sich die Osteopathie hauptsächlich auf manuelle Therapie. Tatsächlich ist die Bandbreite an therapeutischen Ansätzen viel größer, für die es eine wachsende Evidenzbasis gibt.

Es wird empfohlen, das Interventionsrepertoire zu erweitern und zeitgenössische Theorien (z. B. Schmerzwissenschaft) einzubeziehen. Diese Aspekte sind wichtig, um individuelle Probleme zu erfassen.

THERAPEUT*INNENZENTRIERUNG

Die biomedizinischen Grundlagen der Osteopathie führen zu einem unausgewogenen Verhältnis zwischen Therapeutinnen und Patientinnen. Eine personenzentrierte Behandlung ist die potenziell effektivste Herangehensweise und wird daher als Standard angestrebt, wo die Idee der gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision-Making) eine wichtige Rolle spielt. Und das geht weit darüber hinaus, Patientinnen zu fragen, welche manuelle Technik sie bevorzugen würden. Patientinnen sollten dabei als aktive Partner*innen einer Behandlung betrachtet werden. Die Grundlagen der Osteopathie lassen dies allerdings nur bedingt zu, da vor allem technisches Fachwissen und manuelle Fertigkeiten im Vordergrund liegen.

NICHT PLAUSIBLE MECHANISMEN

Viele Theorien der Osteopathie beruhen auf individuellen Interpretationen und Erfahrungen kleiner Personengruppen und sind oft nicht falsifizierbar. Dies stellt auch die Forschung vor große Herausforderungen. Viele Erklärungsversuche in der Osteopathie sind weit entfernt von der Realität. Es gibt objektive Wahrheiten, wo Subjektivität nicht angemessen ist (z. B. Neupositionierung falsch ausgerichteter Wirbel oder Bewegungen von Schädelnähten erspüren). Einige osteopathische Erklärungsmodelle vermischen jedoch subjektive Erfahrungen mit objektiven Wahrheitsansprüchen.

Um zukünftig zu überleben, muss die Osteopathie offen für neues Wissen sein. Sie sollte bereit sein, nicht mehr zeitgemäße Erklärungen zu verwerfen, um sich weiterzuentwickeln.

Quellen:

  • Esteves, J. E., Zegarra-Parodi, R., van Dun, P., Cerritelli, F., & Vaucher, P. (2020). Models and theoretical frameworks for osteopathic care – A critical view and call for updates and research. International Journal of Osteopathic Medicine: IJOM, 35, 1-4. https://doi.org/10.1016/j.ijosm.2020.01.003
  • Gibson, B. E., Terry, G., Setchell, J., Bright, F. A. S., Cummins, C., & Kayes, N. M. (2020). The micro-politics of caring: tinkering with person-centered rehabilitation. Disability and Rehabilitation, 42(11), 1529-1538. https://doi.org/10.1080/09638288.2019.1587793
  • Rocca, E., & Anjum, R. L. (2020). Complexity, reductionism and the biomedical model. In Rethinking Causality, Complexity and Evidence for the Unique Patient (S. 75-94). Springer International Publishing.
  • Smith, D. (2019). Reflecting on new models for osteopathy – it’s time for change. International Journal of Osteopathic Medicine: IJOM, 31, 15-20. https://doi.org/10.1016/j.ijosm.2018.10.001

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